Tantra ist…
Tantra ist Tantramassage…. weil sie die tiefste und schmerzhafteste Spaltung unserer Kultur überbrückt, nämlich die Spaltung von Prostitution und Zweierliebe.
Ist Tantramassage Prostitution?
Dies werden wir oft gefragt, wenn wir unseren Beruf nennen. Seit vielen Jahren stellen wir uns der Herausforderung, unser Anliegen zu erklären. Um einen nüchternen Blick auf dieses emotional aufgeheizte Thema zu werfen, muss zuerst geklärt werden, was Prostitution im kulturellen Kontext eigentlich ist.
In Wirklichkeit leidet unsere gesamte Gesellschaft in punkto Sexualität an einer Geisteskrankheit. Leider merken wir es schon nicht mehr, weil die Krankheit das Normale geworden ist. In Bezug auf Prostitution könnte man salopp gesagt, sogar fortgeschrittene Schizophrenie diagnostizieren.
Auf der einen Seite steht die akzeptierte Zweierliebe mit all ihrer Romantik, ihren Schwierigkeiten, Seitensprüngen, Betrügereien, Langeweile, aber auch Stabilität. Auf der anderen, der “dunklen” Seite, steht die Prostitution. Als gesellschaftlichen Konsens wollen wir diese strikte Trennung unbedingt erhalten. Da fängt aber sowohl der Selbstbetrug als auch die kulturelle Unwahrhaftigkeit an.
Niemand kann wirklich – auch in Gedanken- unverbrüchlich sexuell treu sein und niemand wird dauerhaft mit einer einzigen Person ein Leben lang satt. Dadurch entsteht eine Spaltung in unserem Inneren, die wir nach aussen projizieren.
Diesseits unsere „reine und saubere” Liebessehnsucht, die wir wider besseres Wissen und gegen alle Erfahrung weiterhin in der Zweierbeziehung suchen. Dorthin – in die Prostitution – projizieren wir unseren ungelebten und damit verachteten Aspekt der Sexualität, unsere Selbstverachtung, unser Animalisches, unser Perverses.
Wir pflegen damit eine Unterscheidung von Liebe (heilig) und Prostitution (unheilig). Das, was wir an der Sexualität verachten, was wir nicht leben konnten und was dadurch faulig und schal geworden ist, wird auf die Prostitution abgewälzt. Dagegen wird unsere ganze innere, vielleicht sogar religiöse Sehnsucht, unsere vermeintliche Liebesfähigkeit der Zweierliebe zugeteilt. Kein Wunder, will niemand etwas mit Prostitution zu tun haben.
So, wie wir um die Fäulnis unseres Finanzsystems wissen und doch so darin verstrickt sind, dass wir keinen Ausweg kennen, so ist die Prostitution die „Bad Bank” der gesellschaftlichen Organisation der Lust.
Die Prostitution ist keineswegs das älteste Gewerbe der Welt, sondern ein unverzichtbarer Bestandteil des Patriarchats. Jede patriarchale Gesellschaft basiert auf Spaltung, auf Dualität auf Entzweiung. Alles wird voneinander unterschieden und in gut und böse, in sauber und schmutzig, in besser oder schlechter eingeteilt.
Das Wesen von Tantra ist die Aufhebung der Dualität, das Verbinden von Spaltung. Auf dem tantrischen Weg sucht der Mensch das, was jenseits von gut und böse ist. Tantra ist weder religiös noch nicht-religiös. Es ist weder moralisch noch unmoralisch. Tantra unterscheidet nicht zwischen heilig und unheilig. Tantra lädt ein, das Leben und sich selbst vollkommen anzunehmen, mit allem, was ist.
Das Heikle an der Tantramassage ist nun, dass sie genau an dieser gesellschaftlichen Spaltung ansetzt. Die Spaltung in der Sexualität ist kulturell die tiefste und die älteste. Tantramasseurinnen wagen es, sich genau über diesen klaffenden Abgrund zu stellen.
Es ist leicht, die Tantramassage ohne weiteres Nachdenken der Prostitution zuzuordnen. Damit hält man die gewohnte Ordnung und Aufspaltung in Gut und Böse aufrecht und kann sich selbst dem Guten zuordnen. Aber die Zeiten ändern sich und die traditionellen Tantramassage-Institute, die z.B. im Tantramassage-Verband e.V. organisiert sind, machen für sich einen Platz in der Mitte der Gesellschaft geltend. Sie haben die Vision, etwas zu verbinden, was zusammen gehört und das Spiel von Spaltung und Projektion nicht mitzuspielen. Dieser Mut macht die Tantramasseurinnen wahrhaft tantrisch und genau dies wird ihnen oft übel genommen.
Was unterscheidet Tantramassage von Prostitution?
Was seit Jahrhunderten die „Bad Bank” der gutbürgerlichen Sexualität gewesen ist, trägt ohne Zweifel deren „faule Papiere”: die Sucht, die Gewalt, die Perversion, die Verzweiflung, die Armut, die Gier, das schnelle Geld, die Lüsternheit. Meine grösste Hochachtung gilt denjenigen unter den Prostituierten, die innerhalb dieses zerstörerischen Gesamtsystems ihre Würde und Selbstachtung sowie ihre weibliche Autorität und ihr Wissen erhalten haben und gute reelle Sexarbeit leisten. Es sind leider zu wenige.
Trotzdem hat Tantramassage ein anderes Ziel als Sexarbeit, auch wenn man sie in gewisser Weise als sexuelle Dienstleistung bezeichnen kann.
In der Prostitution geht es um das Aufheizen der sexuellen Energie und das schnelle Verpuffen derselben. Zum Aufheizen wird alles benutzt, was dazu nötig ist. Insbesondere wird das Kopfkino des Kunden bedient und als Katalysator für das Anfeuern der sexuellen Reizung benutzt. Dieses schnelle Verpuffen macht nicht satt, sondern hinterlässt ein schales Gefühl. Es braucht beim nächsten Mal einen stärkeren Kick. Dieser Dynamik ist die Rot-Licht-Szene in besonderem Maße ausgesetzt: Die Kunden wollen immer mehr für immer weniger Geld. Immer noch tabuloser, immer noch jünger soll die Frau sein, immer noch geiler die Stimulanzien. Das hinterlässt die Kunden trotz allem mit einer inneren Leere. Unbewusst verachten sie sich selbst für ihre Sucht und projizieren diese Verachtung auf die Prostituierte und deren Business. So wird der Teufelskreis genährt.
Die Tantramassage hat ein anderes Ziel als die Prostitution. Hier geht es nicht um Stimulation im Sinne von Triebabfuhr. Hier geht es um die Ausbalancierung von männlichen und weiblichen Kräften im Menschen selbst. In der chinesischen Weisheitstradition spricht man von yin und yang. Das Ziel ist die Regenerierung durch Auftanken in einer Atmosphäre der Hingabe und des Vertrauens. Der Klient oder die Klientin ist eingeladen, sich vollkommen empfänglich zu machen und gar nichts zu tun. Hier wird nichts verbrannt, sondern aufgetankt. Es geht um das Balancieren der eigenen inneren Energien und dadurch um die Regeneration.
Dies ist eine Pionierarbeit im Sinne der Gesellschaft und auch im Sinne der einzelnen Frau, die den Mut hat, diese Arbeit gut zu machen. In kaum einem anderen Beruf ist eine tiefere und ehrlichere Auseinandersetzung mit sich selbst gefordert, als von einer Tantramasseurin im Dakini-Institut.